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»Richtig.«
Ich legte das Foto auf den Tisch. »Dieser Mann saß
gestern hier«, sagte ich.
»Da vorn«, sagte Stamm und nickte in Richtung der
Parkplätze.
»Wann war das?«
»Vier rum.«
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»Sechzehn Uhr.«
»Vier rum oder halb fünf, ungefähr«, sagte Stamm.
Gegen fünfzehn Uhr, hatte der Zeuge aus der Heilig-
geistkirche ausgesagt, habe er Korbinian vor dem Altar
bemerkt.
»Und er saß am letzten Tisch dieser Reihe«, sagte ich.
»Da vorn.«
»Mit dem Strohhut auf dem Kopf.«
»Strohhut auf, hellblaues Hemd, so hab ichs Ihrer
Kollegin wahrheitsgemäß gesagt.«
Von den Kellnern hatte ihn keiner gesehen, zumindest
konnten sie sich nicht an ihn erinnern, trotz des auffälligen
Hemdes und des Hutes, und der Wirt versicherte, er wolle
mich sofort anrufen, falls der Mann noch einmal
auftauche, versprechen könne er jedoch nichts, da zur Zeit
von früh bis spät Hochbetrieb in seiner Taverne herrsche.
Das freute mich für ihn.
Ich setzte mich an den Tisch, den Ebbe mir gezeigt hatte.
Für einen wie mich, der am liebsten am Rand saß, sogar
im leeren Kino in der Nachmittagsvorstellung, war dieser
Platz sofort der einzig denkbare. Der gebückt gehende
Kellner sah misstrauisch zu mir her, wenig später streckte
auch sein Kollege den Kopf aus der Tür, und ich war mir
sicher, dass mich der Wirt vom Fenster aus beobachtete.
Ebbe Stamm hob sein Bierglas und prostete mir über
vier Tische hinweg zu. Anders als gewöhnlich saß ich mit
gestrecktem Rücken auf dem Stuhl, einem wackligen,
harten Klappstuhl, legte die Hände auf den Tisch und
schaute an den Menschen vorbei. Kein Glas stand vor mir,
kein Teller, nicht einmal eine Speisekarte lag da, hier hätte
ebenso gut niemand sitzen können. Regungslos wartete ich
auf nichts. In der Filmstadt München hätte ich ein Statist
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sein können, der anstelle des Hauptdarstellers
ausgeleuchtet wurde und sich nicht bewegen durfte, und
weil dieser nicht erschien, blieb ich einfach sitzen und
synchronisierte zumindest sein Schweigen.
»Wollen Sie noch was trinken?«, fragte der Kellner mit
dem Goldzahn. Der andere lehnte an der Tür, obwohl
inzwischen neue Gäste darauf warteten, bedient zu werden.
»Ich bezahle«, sagte ich. »Auch das Weißbier des Herrn.«
Es klang, als würde ich Gott einen Humpen spendieren,
und der Kellner nahm das Trinkgeld mit einem gläubigen
Lächeln entgegen.
»Was passiert jetzt?«, sagte Eberhard Stumm und klopfte
auf den Sattel seines Fahrrads. Die Luftpumpe hatte er
wieder zwischen die zwei Haken geklemmt und die Tüte
mit dem Spannerglas in den Gepäckträgerkorb gelegt.
Ich sagte: »Ich suche weiter.«
»Der war da«, sagte Stamm, dessen kurzärmeliges Hemd
fette Schweißflecken aufwies. »Wenn die Griechen keine
Augen im Kopf haben, deswegen bin ich noch lang kein
Lügner, und schon gar nicht lüg ich Sie an, von der
Polizei.«
»Ich glaube Ihnen«, sagte ich. Und das stimmte, auch
wenn ich keine Erklärung dafür hatte.
»Freilich!« Er schwang ein Bein über den Sattel und
hielt den Lenker mit beiden Händen fest. Das Schutzblech
klapperte. »Gibts eigentlich Zeugengeld?«
»Nein«, sagte ich.
»Hört man aber oft davon«, sagte Stamm. Der Schweiß
tropfte ihm von den Wimpern.
Ich sagte: »Bei Vermisstenfällen wird nie Zeugengeld
gezahlt.«
»Bloß bei Mord«, sagte Stamm.
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»Manchmal«, sagte ich.
»Dann ist es besser, ich schau nächstes Mal einem
Mörder zu statt einem Vermissten«, sagte Stamm.
»Unbedingt«, sagte ich.
Er klopfte mit der flachen Hand auf den Lenker wie
vorhin auf den Sattel. Vielleicht musste er das Klapper-
gestell vor jeder Fahrt erst aufmuntern. »Wenn Sie mal
verreisen wollen«, sagte er. »Felbus-Reisen! Für die fahr
ich. Hypermoderne Busse, Fernsehen drin, Spitzenklima-
anlage, in den Sitzen, da können Sie besser schlafen als
daheim. Wir fahren runter bis nach Portugal, Moskau
auch, wenn Sie wollen, Südeuropa ist unser Hauptgebiet.
Nur für den Fall.«
»Ich bin ein schlechter Verreiser«, sagte ich.
»Weil Sie noch nie mit uns gefahren sind, Meister!«
Stamm strampelte los, und in meinen Ohren klang das
Klappern des Schutzblechs lange nach wie der Gruß eines
verrosteten Windes.
In ihrer scheuen, abwesenden Art senkte sie bloß den
Kopf, hakte die Spitze ihres Zeigefingers in eine Masche
der Tischdecke und legte die andere Hand darüber, als
wolle sie sie wie ein Kind, das gerade herumgepult hat,
vor mir verstecken. In der Wohnung an der Feuerwache
war es still und beinahe kühl. Bei der Begrüßung hatte
Olga Korbinian diesmal nicht gelächelt, sie gab mir nur
die Hand, nickte und trat einen Schritt zur Seite. Auch als
wir schon im Wohnzimmer standen und sie mich ansah,
sagte sie nichts. Wieder trug sie eine dunkle Bluse und
einen einfarbigen braunen Rock, der altmodisch an ihr
wirkte, ihre grauen Haare sahen ungekämmt und
ungewaschen aus.
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Auf die Frage, ob sie eine Frau mit dem Namen
Annegret Marin kenne, schüttelte sie den Kopf.
Möglicherweise, sagte ich, sei sie jene Geliebte, die Olga
Korbinian erwähnt habe, jedenfalls habe ihr Mann die
Frau einige Male getroffen, vermutlich sogar regelmäßig,
ohne aber mit ihr zu schlafen.
Zuerst hatte ich überlegt, eine andere Formulierung zu
wählen, dann fragte ich mich, wozu. Olga Korbinian
reagierte sowieso nicht, alles, was ich sagte, nahm sie
gleichmütig entgegen, setzte sich dann wortlos an den Tisch
und bot mir keinen Platz an, was ich angenehm fand.
»Er ist nicht bei ihr«, sagte ich, weil sie sich offenbar
weigerte, danach zu fragen. »Hat er inzwischen bei Ihnen
angerufen, Frau Korbinian?«
Sie antwortete nicht. Ich sah, wie sich unter ihren
Händen die gehäkelte Tischdecke bewegte, und sie sah es
auch, und als sie kurz den Kopf hob, erhellte sich ihr
Gesicht für einen flüchtigen Moment.
»Es haben Leute bei uns angerufen, die Ihren Mann
gesehen haben wollen«, sagte ich. »Hier in der Nähe. Auf
dem Markt, in der Heiliggeistkirche, im : Sebastianseck9 .
Und im Haus der Kunst.«
Olga Korbinian zog die Stirn in tiefe Falten. »Was hat er
denn da zu suchen?«, sagte sie mit einem schelmischen
Unterton.
»Er hat mit einem Kellner gestritten.«
»Worüber denn?«
»Das weiß ich nicht, und die Zeugin konnte es mir nicht
sagen, weil sie zu weit weg stand. Anscheinend geht Ihr
Mann gern in Ausstellungen.«
Sie war so überrascht, dass sie den Kopf schief legte und
sich auf der Bank zurücklehnte, die Hände neben sich
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aufgestützt.
»Mit Ihnen geht er nie in Ausstellungen«, sagte ich.
»Wir waren mal in der Alten Pinakothek«, sagte sie.
»Wann?«
»Im vorigen Jahrhundert.«
»In der Pinakothek der Moderne waren Sie noch nicht?«
»Nein. Sie?«
»Ich auch nicht.«
»Was hat er sich angesehen?«, fragte sie.
»Das weiß ich noch nicht. Ich bin mir nicht einmal
sicher, ob er tatsächlich in einer Ausstellung war, fest steht
nur, er war im Haus der Kunst.«
»Glauben Sie, er ist zum Streiten dorthin gegangen?«
»Das glaube ich nicht«, sagte ich. [ Pobierz caÅ‚ość w formacie PDF ]

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